Nara

Die Stadt der heiligen Hirsche, die gefühlt in keinem Reiseprospekt für Japan fehlt.
Also beschließe auch ich heute, dieser Stadt einen Besuch abzustatten. Schließlich ist sie nur eine knappe Zugstunde von Kyoto entfernt.
Leider verpasse ich den Schnellzug und so tuckere ich gemütlich mit dem Localtrain meinem Ziel entgegen.
Nara hat wieder so viele Tempel und Schreine zu bieten, dass ich darauf verzichte, sie alle besuchen zu wollen.
Vom Bahnhof aus lasse ich mich einfach von der Menge treiben und schaue, wohin mich meine Füße tragen.
Nach der Sanjo Dori ist es der Kofuku-ji und kurz danach, im Noborioji-Park, kann man den heiligen Hirschen nicht entkommen.
Ich setze mich auf eine Bank und schaue dem Treiben zu.


Es werden spezielle Reiskekse für 200 Yen verkauft, mit denen man die Hirsche füttern kann, und einige Hirsche haben gelernt, sich zu verbeugen, natürlich ganz japanisch, um an ihr Futter zu kommen. Andere Hirsche sind wahrscheinlich so genervt von dem Trubel und schon satt, dass sie nicht einmal die Augen aufmachen, wenn man mit dem Reiskeks vor ihnen herumwedelt.
Ich bin etwas hin und her gerissen von diesem Anblick und recherchiere im Internet über die Herkunft der Hirsche:

„Um die Gründe für die noch heute andauernde Verehrung der Rehe und Hir­sche von Nara zu verstehen, muss man tausende Jahre in der japanischen Geschichte zurückgehen. Nara war einst eine wichtige Residenzstadt und die bedeutende Adelsfamilie Fujiwara besaß dort einen Schrein für Ahnen­ver­eh­rung. Der noch heute existierende Schrein trägt den Namen Kasuga Taisha, ist aber besser bekannt unter der Bezeichnung Kasuga-Schrein. Wie für ei­nen heiligen Schrein üblich, ließ auch die Familie Fujiwara den ihren von Gottheiten beschützen. Eine Besonderheit der Gottheiten des Kasuga-Schreins ist, dass sie auf Hirschen reiten. Dass Götter mit verschiedenen Tieren in Verbindung gebracht wurden, war in vielen frühen Kulturen gängig und dass im Fall des Kasuga-Schreins Hirsche gewählt wurden, ist laut tausend Jahre alten Legenden kein Zufall. Für die Familie Fujiwara hatten Hirsche und Rehe einen hohen Wert, diese Tiere standen unter ihrem besonderen Schutz und durften im angrenzenden Wald von nie­man­dem gejagt werden. So kam es, dass Hirsche und Rehe sich im Umkreis des Fujiwara-Anwesens frei bewegen konnten und ihre natürliche Scheu gegenüber Menschen ablegten.

Manche betrachten die Sichtweise, dass sich diese doch eher ungewöhnliche Mensch-Tier-Beziehung aus den Anfangszeiten Naras bis heute erhalten haben soll als eigenartiges, kurioses Phänomen, das kaum möglich scheint. Tatsache ist jedoch, dass die Rehe und Hirsche bis heute mitten unter den Menschen der Stadt leben und sich wohl zu fühlen scheinen. „

Quelle: https://die-japanreise.de/tiere-japans/heilige-rehe-sikahirsch.html

Beim Anblick der vielen Kekse meldet sich mein Magen und ich frage mich, ob es auch etwas für Menschen zu essen gibt.
Gesucht, gefunden und weiter zum Daibutsu-den. Die Halle des Großen Buddha ist das größte Holzgebäude der Welt.
Ich erinnere mich an die Grammatikstunde im Japanischunterricht, in der wir uns in Superlativen geübt haben, und Japan scheint diesen an jeder Ecke gerecht werden zu wollen.


Der Buddha auf seinen Lotusblättern berührt mich wieder, denn er steht im Zusammenhang mit dem Avatamsaka-Sutra.
Dessen Inhalt, kurz zusammengefasst, lautet
„Jeder Gegenstand und jedes Lebewesen existiert nicht isoliert für sich, sondern ist mit allen anderen verbunden und selbst in jedem anderen Teil enthalten. Alles ist wechselseitig durchdrungen. Die Kurzform dieses Prinzips lautet: Alles in Einem – Eines in Allem“.


Mit diesen Zeilen im Kopf merke ich, dass mir der Trubel zu viel wird und ich die Stimmungen der Umgebung so nicht mehr wahrnehmen kann.


Ein Blick auf die Karte verrät mir, dass ich nach gut 5 Kilometern Wanderung den Uguisu-Wasserfall erreichen sollte und ich mache mich auf den Weg den Mount Wakakusa hinauf und um ihn herum.
So kann ich die nächsten 3 Stunden die Stille des Waldes genießen. Riesige verdrehte Bäume stehen am Wegesrand und wieder warnen Schilder vor Schlangen.


Als der Wald mich wieder freigibt, habe ich noch etwas Energie, um mir kurz das Treiben in Nara-machi anzuschauen, bevor mein Zug zurück nach Kyoto fährt.
Möchtest du auch einmal Nara besuchen? Dann plane mehr als einen Tag ein.