Jiro Sasaki Tayu's Grab auf Aogashima

Alltag und Geschichte

Nachdem ich heute morgen beim Frühstück erfahren habe, dass mein Schiff, welches mich wieder zurück nach Hachijojima bringen sollte, auf Grund des Wetters dann doch nicht fahren konnte, habe ich einen weiteren Tag auf Aogashima.

Ich informiere meine Unterkunft auf Hachijojima darüber und mache mich nach den Frühstück zu Fuß auf den Weg das Dorf zu erkunden.

Ich setze diesmal nicht die „Wow, wie ist Japan toll“ Brille auf, sondern versuche den Alltag hier etwas einzufangen. Die Dörfer Japans sind das komplette Gegenteil zu den Dörfern Deutschlands, in welchem bei fast jedem am Ortseingang eine stolze Tafel, mit der Selbstbeweihräucherung: Wir waren Sieger bei „Unser Dorf soll schöner werden“ steht und es zur Pflicht gehört, jedem Blatt, welches sich im Herbst von den Bäumen stürzt mit einem Laubbläser hinterher zu jagen.

Die Dörfer Japans haben da ihren ganz eigenen Charme.

Ich stelle mir also die Frage, wovon leben die Bewohner Aogashimas.

Es gibt, ein paar Pensionen und Satoshi San betreibt eine Kfz Werkstatt mit einem Mietwagen Verleih. Aber Tourismus ist wohl noch nie der große Haupterwerb der Insel gewesen. Zu schwierig und komplex ist es, selbst für Japaner, wie mir hier mehrfach erzählt wurde, auf die Insel zu kommen. Der tägliche Hubschrauber ist Wochen im voraus ausgebucht und in wie weit man sich auf das Schiff verlassen kann, erlebe ich ja heute selbst.

Und selbst Hachijojima, welches Mal eine Tourismus Hochburg war bis die „Blasen-Wirtschaft“ Japans endgültig platzte, hat heute noch unter diesen Folgen zu leiden.

In dem Video, welches ich gestern sehen durfte und das in den 60er Jahren gedreht wurde, gab es auf Aogashima noch keine Autos und Kühe waren das Transportmittel der ersten Wahl um z.b. Steine die steilen Wege über die Insel zu transportieren.

Es existiert bis heute eine kleine Landwirtschaft.. Traditionell wird ja in Japan viel Reis gegessen. Und auch, wenn mir hier drei Mal täglich Reis serviert wird, so stammt er nicht von der Insel. Es gibt hier nicht genügend Wasser um Reisfelder zu betreiben.

Seit Jahrhunderten ist die Süßkartoffel, das Hauptnahrungsmittel und selbst der Shochu wird aus diesen gebrannt. Auf Aogashima gibt es eine große Shochu Brauerei.

Weiter gibt es eine Salzmanufaktur, welche aus dem Meerwasser mit Hilfe der Kraft und Hitze des Vulkan, Salz gewonnen und erfolgreich vermarktet wird.

Und schon sind wir beim Thema Trinkwasser. Wo kommt das Trinkwasser her auf einer kleinen Vulkaninsel direkt im Pazifik?

Heute laufe ich an großen versiegelten Betonflächen vorbei, die ganze Hänge der Insel bedecken. Diese Flächen haben wohl schlicht die Aufgabe, das Regenwasser, welches es zum Glück hier häufig gibt, aufzufangen und in die große Regenwasser Aufbereitungsanlage zu leiten.

Es gibt eine Polizei Station auf Aogashima, mit einem freundlichen Polizisten, der mich inzwischen auch schon kennt, was aber nicht an meinem Fahrstil liegt. Und hinter der Polizei Station liegt die Schule, verschiedene öffentliche Einrichtungen und in einem Gebäude befindet sich eine Etage, welche als Krankenhaus dient und die wichtigsten Gesundheitsleistungen bis hin zu kleinen Operation durchführen kann.

Mein Weg führt mich immer wieder an kleinen Feldern vorbei, die den Einwohnern als Anbaufläche für Gemüse dient, in der Caldera gibt es aber auch einige Gewächshäuser, ich höre Hühner und Kühe aus Ställen gackern und muhen. Und nicht zu vergessen natürlich der Fischfang. Im Aufenthaltsraum meiner Pension hängen große Schautafeln mit dem jeweiligen Fischen der Region. Es sind ca. 100 Arten abgebildet und beim gestrigen Abendessen wurde jeder gefragt, welches sein Lieblingsfisch sei.

Zum Glück wurde ich nicht gefragt, ich habe keinen Fisch auf den Bildern gekannt und wenn ich Mal ehrlich bin, die Fischauswahl im Süden Deutschlands ist ja schon recht übersichtlich. In meiner Welt auf jeden Fall.

Und mir begegnet auf meinem Weg immer wieder der Name Sasaki Jirodayu.

Sasaki Jirodayu wurde am 8. April 1767 auf der Insel Aogashima geboren. Jirodayu wurde im Mai 1817 im Alter von 50 Jahren zu einer Art Bürgermeister der Insel Aogashima ernannt.

Er war federführend bei der Rückkehr und Umsiedlung aller ehemaligen Bewohner zurück auf die Insel, die damals aufgrund des Tenmei-Ausbruchs (1783-85) unbewohnt war. Er vollbrachte die herausragenden Leistungen der erfolgreichen Sanierung der Insel, auch ohne öffentliche Gelder.

Wenn ich mich richtig erinnere, war die Insel nach ihrem letzten Vulkan Ausbruch etwa 50 Jahre unbewohnbar. Sicher sind viele Menschen damals gestorben.

In einem berührenden Facebook Post von Satoshi San wurde die komplizierte Wiederbesiedlung der Insel erklärt. Tiere, Saatgut und wahrscheinlich auch sonstige Dinge mussten per Schiff zurück auf Aogashima gebracht werden, viele Fahrten scheiterten und die Menschen auf dem Booten starben in der See oder wurden an ferne Ufer abgetrieben.

Aogashimas historische Erzählung – Das Zeitalter der Rückkehr
Im August 1793 begaben sich mehr als ein Dutzend Inselbewohner nach Aogashima, das seit dem großen Vulkanausbruch unbewohnt war, um an der Wiederherstellung der Insel mitzuwirken. Acht Jahre nach dem Ausbruch kultivierten sie das Ödland von Aogashima für den Anbau von Feldfrüchten, aber die Insel wurde von wilden Ratten schwer beschädigt. Anfang Oktober fuhren fünf von ihnen nach Hachijojima, um Saatgut zu beschaffen, das jedoch bei einer Katastrophe verloren ging.

Im folgenden Jahr, im Mai 1794, machten sich 15 Personen, darunter der Meister Sankuro, in zwei Booten auf den Weg nach Aogashima. Sie landeten sicher, aber beide Boote wurden in einem schweren Sturm an der Küste zerschmettert. Anfang Juli bestiegen Sankuro und 12 weitere Personen das Boot und erreichten wieder sicher Hachijojima.
Ende Juli fuhren fünf mit Lebensmitteln beladene Personen nach Aogashima, verirrten sich aber und trieben nach Boshu (südlicher Teil der Boso-Halbinsel), von wo aus sie im folgenden Jahr nach Hachijojima zurückkehren konnten. 8 neue Personen fuhren im Oktober erneut nach Aogashima, lieferten sicher Lebensmittel ab und blieben dort sechs Monate lang.

Im April 1795 verließen acht Personen, die im Jahr zuvor nach Aogashima übergesetzt hatten, Aogashima in Richtung Hachijojima, erlitten jedoch Schiffbruch und ertranken nach neun Tagen auf See in der Hachijo Shinminato.

Im darauffolgenden Juni 1796 machten sich neun Personen mit Lebensmitteln auf den Weg nach Aogashima, wurden aber nach Boshu getrieben. Diese neun kehrten im September sicher nach Hachijo-jima zurück.

Im darauffolgenden Juli 1797 tauchte ein mysteriöses treibendes Schiff aus Torishima mit den neun auf Aogashima Verbliebenen auf. Nachdem sie sich etwa einen Monat lang auf Aogashima aufgehalten hatten, setzten Chōhei und 14 andere, die aus Torishima geflohen waren, mit zwei ihrer Freunde aus Aogashima als Lotsen nach Hachijō-jima über, die sie ihren Freunden, die nach zwei Jahren nach Hachijō evakuiert worden waren, über die Notlage auf Aogashima informierten.
Ende August machten sich 14 Männer, darunter der Kapitän Sankuro, mit Lebensmitteln beladen auf den Weg nach Aogashima, verirrten sich aber. Nach acht Tagen trieben sie nach Kishu Futakijima (Kumano, Präfektur Mie), wo Sankuro und 11 andere getötet und drei Überlebende tot aufgefunden wurden.
Im Oktober verließen Chouhei und andere aus Torishima Hachijojima in Richtung Edo.

Im folgenden Januar 1798 kehrte Chohei von Torishima in seine Heimatstadt Tosa zurück.
Zwei Inselbewohner von Aogashima, die nach Kishu getrieben waren und überlebt hatten, kehrten nach Hachijo-jima zurück, und der Tod von Meister Sankuro und anderen wurde ihren Freunden auf Aogashima mitgeteilt, die auf Hachijo-jima auf sie warteten.

Im darauf folgenden Oktober 1799 machten sich 33 Personen, darunter Frauen und Kinder, auf den Weg nach Aogashima, gingen aber verloren. Sie trieben nach Kishu, wo Sankuro und andere angespült worden waren, und einer von ihnen starb an einer Krankheit am Landeplatz.

Im folgenden Juni 1800 kehrten 32 Überlebende nach Hachijojima zurück.

Im folgenden Jahr, 1801, gibt es keine Aufzeichnungen über eine Überfahrt.

Im darauffolgenden Jahr, im Juli 1802, entschlossen sich sieben Menschen, die seit 1795 auf Aogashima geblieben waren und sieben Jahre lang ihre Not ertragen hatten, ohne dass eine Fähre von Hachijo-jima sie erreichte, endlich nach Hachijo-jima zurückzukehren. Aogashima wurde wieder unbewohnt.

Diesen Text habe ich von Satoshi San Seite kopiert, weil ich finde es wird deutlich was für Anstrengungen unternommen wurden, um diese Insel wieder bewohnbar zu machen.

Diese Geschichten werden bis heute in den alten Liedern und Tänzen der Insel erzählt und in Erinnerung behalten und ich frage mich, ob nach so einem extremen Ereignis, bei dem ja ein paar Generationen vergehen mussten, bis die Insel dann doch wieder besiedelt wurde, die Zeitrechnung dieser Insel nun bei 1785 neu beginnt? Oder gibt es eine Gemeinschaftserinnerung an die Zeiten vor dem Ausbruch?

Mit dieser Frage im Kopf starte ich in den Nachmittag. Und Kota San schreibt mir eine kurze Antwort:

Ich habe gehört, dass Aogashima vor dem letzten Ausbruch ein Ort mit sehr guten Lebensbedingungen für die Menschen war.

Ikenoswa, das ist der Bereich, welcher beim letzten Ausbruch in sich zusammengefallen ist und nun die tiefe Caldera bildet mit dem neuen Vulkankegel in der Mitte, hatte zwei Seen und der Boden war sehr gut für Kartoffeln und Gemüse.
Wahrscheinlich haben sich die Menschen keine Sorgen um Wasser und Nahrung gemacht.
Selbst als in ganz Japan eine große Hungersnot herrschte, gab es in Aogashima nie einen Mangel an Lebensmitteln.
Wir können uns vorstellen, dass das Leben in Aogashima vor und nach dem Ausbruch völlig anders aussah.

Weil die harte Geschichte von Kanju berühmt ist, haben die Menschen kaum eine Vorstellung von der Zeit vor dem Ausbruch.
Welche Art von Kultur mit Liedern, Tänzen, Taiko und Ritualen für die Götter gab es?

Also fakt ist es hat sich nach den Ausbruch wieder eine Aogashima eigene Kultur gebildet, welche zwar sehr verwandt mit Hachijojima ist, aber doch auch eigenständig.

Mit diesem Bildern im Kopf sitze ich lang an Hafen, schaue auf den doch erstaunlichen Wellengang und beobachte einen einsamen Fischer, der recht erfolgreich in dieser Zeit mehrere Fische an Land zieht. Ich vermute mal, dass es sich hier dennoch um den jeweiligen Eigenverbrauch handelt.

Einen professionellen Fischhafen gibt es hier nicht. Vereinzelte private Fischkutter befinden sich auf einer betonierten Ebene knapp 20 Meter über dem Meer und werden bei Bedarf mit einem Kran zu Wasser gelassen.

Als ich den Hafen wieder verlassen muss und zum Auto zurück gehe, möchte es mich nicht mehr transportieren. Das Automatikgetriebe lässt sich nicht bedienen und die Zündung reagiert nicht.

Niemand sonst ist zu sehen, der Fischer wohl noch beschäftigt, der eine wird kräftiger, es beginnt zu regnen und die Wellen brechen über die Betonwände.

Ich schreibe Satoshi eine Nachricht, aber er arbeitet und liest keine Nachrichten.

Das es sich um einen Mietwagen handelt, entferne ich den Flugmodus am Handy und wähle die dort genannte Nummer.

Eine Stimme meldet sich versteht aber nein Englisch nicht, sie scheinen aber zu verstehen, dass der Deutsche wohl ein Problem hat. Mit meinem zweiten Smartphone übersetzte ich Brocken ins japanische und versuche so meine Situation zu verdeutlichen.

Nach gefühlten 15 Minuten haben wir die Situation soweit geklärt, dass sie wissen wo ich zu finden bin und Satoshi San auf dem Weg zu mir ist.

Irgend etwas mit der Elektrik stimmt nicht, oder ich habe vergessen das Licht auszuschalten und die Batterie ist leer gelaufen. Peinlich ist die Situation alle Mal.

Wir tauschen die Autos, Satoshi San fährt wieder arbeiten und ich in die Sauna. Dort bin ich nun auch schon bekannt, die gestrigen Blockaden sind gelöst, die Gäste sind die selben wie gestern und wir beantworten und gegenseitig ein paar Fragen, bevor ich in der Dunkelheit wieder zurück fahre.

Am der Kochstelle treffe ich noch den Polizisten, welcher sich gerade sein Abendessen gart.

Nach meinem Abendessen bin ich nocheinmal zu der Stelle gelaufen, an welcher man den Sternenhimmel gut sehen kann. Und mein Plan ist aufgegangen. Der Mond war hinter Wolken, über der Insel war eine Wolke, welche ein wenig das Licht des Dorfes reflektierte, aber sonst war es am der Stelle stockdunkel. Akustisch hab es ein Konzert aus tausend Grillen und das ruhige Wiederkäuen der Rinder, welche dort ihren Stall haben..

In der Ferne zwei Lichter, welche auf Hachijojima schließen lassen und über mit ein Sternenmeer aus abertausenden Sternen und ich meine einen sanften Schleier der Milchstraße gesehen zu haben.

Sucht einfach mal in einer Suchmaschine euer Wahl nach Aogashima und Milkyway.

Ein gigantischer Abschluss dieser Tage hier.

Und dann folgt definitiv meine letzte Nacht auf Aogashima.